Thomas Brussig – Am kürzeren Ende der Sonnenallee (1999)

Berlin Sonnenallee

Thomas Brussigs Roman aus dem Jahr 1999 bietet Neuköllner DDR-Nostalgie vom Feinsten.

Wo sich heute friedlich eine Kneipe an die nächste reiht, standen sich einst zwei Welten feindlich gegenüber. Als die Alliierten im Jahr 1945 hitzig über den Verlauf der Berliner Sektorengrenzen stritten, wollte Stalin ‚die Straße mit dem so schönen Namen Sonnenallee (…) nicht den Amerikanern überlassen‘. Und weil sich Churchill für Stalins freundliche Hilfestellung beim Anzünden seiner Zigarre revanchieren wollte, gab er den Russen am Ende halt einfach ein Stückchen Sonne ab. Somit mündete das westliche Ende der Straße dann in den Hermannplatz und das mittlere Stück wurde zum Grenzübergang an der südöstlichen Spitze Neuköllns. Die nur etwa 60 m kurze restliche Sonnenallee aber befand sich fortan jenseits der Mauer.

So jedenfalls stellt sich Michael Kuppisch, der Held aus Brussigs Roman, die Entscheidungsfindung zu dieser bizarren Straßenstückelung vor. Er wohnt mit seiner Familie in genau diesem Ost-Zipfelchen der Sonnenallee – landestypisch noch dazu in einer viel zu kleinen Wohnung, weshalb er sich die meiste Zeit mit seiner Clique, dem ‚Potenzial‘, auf der Straße herumtreibt.
Dem jugendlichen Alter des Protagonisten und seiner Freunde entsprechend geht es in dem Roman vordergründig auch um das Erwachsenwerden und die erste große Liebe. Ihrem beengten und bewachten Alltagsleben in der DDR versuchen die jugendlichen Helden mit Humor und Kreativität zu trotzen: Mario verwandelt Lenis bekannte Parole z.B. kurzerhand in „Die Partei ist die Vor(h)aut der Arbeiterklasse und für Brille waren die Hochhäuser in der Leipziger Straße (…) nur gebaut worden, um den Blick auf das Springer-Hochhaus zu verbauen“ (was in der Tat stimmen könnte). Schon schwerer verdaulich ist Marios großer Eindruck von seiner Freundin, einer ‚Existentialistin‘, deren ‚Fenster zum Todesstreifen ging‘, die ‚das Hohelied der Freiheit sang‘ und nach deren Meinung (trotzdem) alle ‚zur Freiheit verurteilt‘ sind.
Als Mario seine frankophile Flamme jedoch entnervt fragt, ob man ebenso zum nächtelangen Gedudel von Edith Piafs ‚No, je ne regrette rien‘ verurteilt sei, verliert auch die pathetische Regimekritik etwas von ihrer Unversöhnlichkeit. Denn ‚glückliche Menschen haben ein schlechtes Gedächnis und reiche Erinnerungen“, so schließt der Roman. Letzterer kann man sich nach einem (nächtlichen) Bummel in diesem Kiez auch heute noch sicher sein – und je nach Pegel auch des schlechten Gedächtnisses.