Gegen den Overtourismus: Schöne Städte schützen – auch und gerade als Besucher

Touristen am St. Mark's Square

Schon Ende der 1950er Jahre schrieb der deutsche Dichter Hans Magnus Enzensberger „Der Tourist zerstört, was er sucht, indem er es findet.“ Bereits damals ein klares Statement gegen den sich noch in seinen Anfängen befindlichen Overtourismus – ein Statement, das in der heutigen Zeit noch mehr Gewicht hat als einst.

Nein, dieser Satz sollte Sie keinesfalls davon abhalten, Deutschlands schönste Städte – oder überhaupt andere Orte – zu besuchen. Allerdings können Sie durch ein insgesamt angepasstes, nachhaltiges Verhalten sehr viel dazu beitragen, unsere wunderschönen Städte und Stätten so zu erhalten, dass sie auch noch in vielen Jahren so charmant und besuchswert bleiben.

Touristen und ihre Wirkung – im Guten und im Schlechten

Es gibt wohl nur wenige Bewohner einer schönen Stadt, die es nicht mögen, wenn Besucher von außen ihre Stadt über alle Maße loben, weil sie es hier so atemberaubend finden. Ebenso dürfte schon mancher Stadtbewohner über solche Besucher die Stirn in Falten gelegt haben, weil dadurch verschiedene Orte überlaufen sind.

Tatsache ist: Tourismus als solcher hat ausgeprägte Licht- und Schattenseiten.

  • Die Besucher bringen wichtige Geldmittel in die Stadt. Das unterstützt nicht nur die Wirtschaft, sondern lässt überhaupt erst einige Wirtschaftszweige erblühen. Je nach Grad kann die Wirtschaft jedoch eine zu große Abhängigkeit vom Tourismus entwickeln und/oder es bleibt kaum noch etwas, das eher den Einheimischen dient.
  • Aufgrund der gestiegenen Einnahmen bleibt mehr in den Staatskassen, um damit Dinge zu finanzieren, die (auch) der lokalen Bevölkerung zugutekommen. Umgekehrt kann Tourismus jedoch ebenso die Ausgaben hochtreiben, weil er beispielsweise das Abfall-, Abwasser- und Verkehrsaufkommen steigert und kostspielige Maßnahmen erfordert – etwa Sanierungen.
  • Touristen fördern vielerorts den Lebensstandard. Gleichsam werden jedoch lokale Einwohner vielfach durch Preissteigerungen und Wohnraummangel zugunsten kurzfristiger Unterbringungsmöglichkeiten verdrängt.
  • Die Besucher erhöhen meistens das Arbeitsplatzangebot in sämtlichen irgendwie damit verbundenen Branchen. Vielfach steht dahinter jedoch ein saisonal stark schwankender Bedarf – und nicht selten eher schlechte Bezahlung.

Vielleicht haben Sie es bei einem zurückliegenden Städtetrip selbst schon bemerkt: Touristisch besonders schöne Hotspots sind je nach Jahres- und Tageszeit arg überlaufen. Zudem werden echte Geheimtipps – Stichwort Instagramability – immer seltener, weil sie sich rasend schnell über digitale Kommunikationsmittel verbreiten.

Tatsächlich kann jedoch jeder einzelne Besucher durch sein eigenes Verhalten bestimmen, ob die positiven Seiten des Tourismus‘ in einer Stadt überwiegen oder die negativen. Doch was können Sie diesbezüglich tun?

Möglichst viele nachhaltige Verkehrsangebote nutzen

Einer derjenigen Faktoren, der für Touristen wie Einheimische am stärksten negativ wirkt, ist der Autoverkehr. Auf dem flachen Land mag es vergleichsweise einfach sein, eine Straße um weitere Spuren zu ergänzen. In der Stadt hingegen gibt es dafür kaum eine Chance. Nicht zuletzt im internationalen Bereich werden deshalb verschiedenste Lösungsansätze zur Reduktion genutzt. Allerdings müssen Sie definitiv nicht warten, bis beispielsweise Hamburg die Parkgebühren auf „Amsterdamer Verhältnisse“ anhebt oder Dresden eine City Maut einführt:

  • Reisen Sie, sofern möglich, gar nicht erst auf eigener Achse an.
  • Ist das nicht möglich, dann lassen Sie das Auto am besten für den gesamten Besuch an einem nicht öffentlich zugänglichen Parkplatz stehen – etwa der, der zu Ihrem Hotel gehört.
  • Nutzen Sie für die Erkundung möglichst solche Verkehrsmittel, die pro Person ein geringes Verkehrsaufkommen verursachen. Beispielsweise Bus statt Taxi oder Straßenbahn statt Mietwagen.
  • Versuchen Sie, stets mit dem Verkehr mitzuschwimmen, um seinen Fluss nicht zu beeinträchtigen.
  • Wenn Sie Fahrräder, Roller und Ähnliches mieten, dann achten Sie bitte darauf, sie nur auf freigegebenen Flächen abzustellen.

Tatsächlich trägt jeder einzelne PKW dazu bei, den städtischen Verkehr besser oder anstrengender zu machen. Zumal alternative Verkehrsmittel einen riesigen touristischen Vorteil haben: Sie können sich viel mehr aufs Sightseeing konzentrieren statt auf andere Verkehrsteilnehmer, Schilder und Ampeln.

Touristen bestaunen die Aussicht

Nachhaltige und lokal betriebene Unterkünfte buchen

Wenn Sie in einem zu einer großen Kette gehörigen Hotel nächtigen, dann kommt davon meist relativ wenig bei der einheimischen Bevölkerung an. Und wenn Sie gedankenlos Ferienwohnungen mieten, dann könnten Sie durchaus an Wohnraummangel in der Stadt eine (kleine) Mitschuld tragen – just deshalb verbieten einige wenige deutsche Städte bereits solche Kurzzeitvermietungen von eigentlich privatem Wohnraum.

Aus dieser Warte aus betrachtet bedeutet eine „nachhaltige“ Unterkunft also nicht nur den Schutz von Klima, Natur und Umwelt, sondern ebenso ein Vorteil für die Stadt und ihre Bewohner. Hierfür existieren beispielsweise verschiedene Buchungsplattformen, die ausschließlich derartige Unterkünfte auflisten. Ebenso können Sie sich mit solchen Anfragen an die offiziellen Tourismus-Büros der Stadt wenden.

Übrigens: Sehr wirkungsvoll ist es überdies, wenn Sie All-Inclusive-Angebote ablehnen. Diese haben meist ausnehmend hohe Energie-, Rohstoff- und Lebensmittelverbräuche, arbeiten nur selten mit lokalen Händlern zusammen und erzeugen oft sehr viel Abfälle und Abwässer.

Eine Person fotografiert das Brandenburger Tor in Berlin

Restaurants und Geschäfte abseits des Mainstreams unterstützen

Ein Restaurant, Café, Andenkengeschäft oder Ähnliches entlang typischer urbaner „Touristen-Adern“ zu betreiben, bedeutet meistens sehr üppige Umsätze – allerdings ebenso entsprechende Preise für Sie als Kunde bzw. Gast. Teilweise hat das die Betriebskosten solcher Ziele in Regionen getrieben, durch die einheimische Geschäftstreibende ganz aus dem Rennen geworfen wurden.

Das ist einer von sehr vielen verschiedenen Gründen, warum es in vielen Innenstädten eine so große Anzahl von Häusern gibt, die zu Ketten gehören – die sogenannte Filialisierung. Neben der Tatsache, dass dadurch einheimische Geschäftstreibende von den lohnenswerten Touristenströmen abgeschnitten werden, sorgt das für eine bedenkliche Vereinheitlichung und somit Reduzierung städtischer Einzigartigkeit – und darüber wiederum Gründen, überhaupt eine bestimmte Stadt anzusteuern.

Die Lösung: Egal ob Frühstücksbrötchen, Reiseandenken, Mittags-Snack oder abendliches Bier: Halten Sie sich konsequent von den zentral gelegenen Orten fern und geben Sie Ihr Geld in den Seiten- und Nebenstraßen aus – dort treffen Sie dazu noch viel eher Einheimische statt bloß andere Touristen.

Außerhalb der Saison anreisen

Eine Stadt, die angesichts ihrer Architektur und ähnlicher Anziehungspunkte eine Reise wert ist, sollte eigentlich das ganze Jahr über eine Reise wert sein – es handelt sich ja nicht um einen sehr wetterabhängigen Bade- oder Skiurlaub.

Wenn Sie dieser Logik zustimmen mögen, dann sollten Sie sich überlegen, Städtereisen außerhalb der typischen „Stoßzeiten“ durchzuführen – etwa abseits der Schulferien. Natürlich nur, sofern es Ihnen möglich ist. Dafür gibt es gute Gründe. Sie alle bevorteilen sowohl Sie als Besucher als auch die Stadt und ihre Bewohner:

  1. Sie tragen einen kleinen Teil dazu bei, das Tourismusaufkommen der Stadt bei gleichbleibender Höhe zu entzerren.
  2. Sie können die Stadt und viele ihrer touristisch attraktiven Wahrzeichen besser genießen (und fotografieren), weil weniger Gedränge und Zeitdruck herrscht und Sie nicht so lange in Schlangen warten müssen.
  3. Sie entdecken vielleicht Seiten an der Stadt, die Sie im Gedränge der Hochsaison nie bemerkt hätten.
  4. Sie unterstützen die auf Tourismus angewiesene lokale Wirtschaft, die Betreiber von Denkmälern, Museen usw. in einer ansonsten teils sehr einnahmenschwachen Zeit.
  5. Sie kommen – mancherorts – in den Genuss vergünstigter Nebensaison-Preise.

Demgegenüber steht nur eine je nach Jahreszeit größere Gefahr für schlechtes Wetter sowie das Risiko, mancherorts vielleicht vor verschlossenen Türen zu stehen. Aber: Je mehr Menschen sich so verhalten, desto lohnenswerter wird es, solche Angebote ganzjährig zugänglich zu machen – so, wie es sich mit allen Tipps aus diesem Text verhält.

Geheimtipps für sich behalten

Die digitalisierte, sozialmediale Welt mag von einem ausgesprochenen Sharing-Gedanken bestimmt sein. Gerade im Urlaub sind wir heute nur allzu bereit, andere über soziale Netzwerke, Messenger und ähnliche Dienste geradezu live an unserer Reise teilhaben zu lassen. Und natürlich gibt es zumindest ein bisschen Prestige, nicht das x-tausendste Foto eines bekannten Wahrzeichens zu posten, sondern ein Foto von etwas, das nicht gefühlt jeder Besucher der Stadt in seinem Feed präsentiert.

Das Problem an dieser Herangehensweise sind die damit einhergehenden Auswirkungen der weiter oben angesprochenen Instagramability: Indem man noch nicht so breit bekannte Orte sozialmedial teilt, raubt man ihnen Automatisch das Einzigartige, Besondere.

Das gilt beileibe nicht nur für Influencer mit riesiger Follower-Zahl. Im Internet hat jeder von uns eine große Reichweite. Sie entdecken irgendwo eine kleine, touristisch nicht überlaufene Kostbarkeit und stellen davon ein Foto online. Es genügt schon, wenn ein Kollege mit Familie diesen Ort bei seiner nächsten Reise besucht und dann ebenfalls davon Bilder macht und teilt.

Dieses Schneeballsystem war leider schon an vielen Orten rund um den Globus dafür verantwortlich, sie für den Tourismus und teils sogar Einheimische regelrecht „zu verbrennen“ – durch riesige Menschenmassen, Müll und alle anderen Auswirkungen von Overtourismus der digitalen Epoche.

Gönnen Sie sich gerne das Erlebnis solcher Orte abseits des touristischen Mainstreams; egal ob schöner Foto-Spot oder herrlich urige Einheimischen-Bar. Bloß verzichten Sie darauf, sie auf Social Media zu verbreiten und so ihren besonderen Status zu rauben.